I. Quellen und Quellenkritik.Das Jahr 1935 hat die Neuorganisation der Monumenta Germaniae historica gebracht; als »Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde« sollen sie mit bedeutend erweitertem Aufgabenkreis fortan den Instituten für Vorgeschichte und für neuere deutsche Geschichte zur Seite treten. P. Kehr < 3> begründet das neue Statut der Anstalt in einem Rückblick auf die Verfassung der Monumenta seit ihrer Gründung durch den Frhrn. vom Stein. a) Erzählende Quellen.Die zwei
wichtigsten Geschichtsschreiber der sächsischen Epoche haben in dem Berichtsjahr die schon lange erwarteten neuen
Ausgaben erfahren: Widukind durch P. Hirsch <
722> und Thietmar durch R. Holtzmann <
723>. Die beiden neuaufgetauchten Widukindhss. haben für den Text
nicht allzuviel ergeben; sie erscheinen lediglich in den Lesarten. In der Thietmarausgabe ist die hsl. Grundlage die
gleiche geblieben wie zuvor; nur die Corveier Überarbeitung, die in der Kurzeschen Ausgabe ganz
ungleichmäßig herangezogen war, ist jetzt getrennt und im Paralleldruck zu der Dresdener Originalhs.
abgedruckt, so daß man diese für die späteren Benutzungen des Thietmartextes wichtige Überlieferung
bequem mit dem Urtext vergleichen kann. Unter diesen Umständen liegt der Schwerpunkt der beiden neuen Ausgaben in
der Klarlegung der Text- und Überlieferungsgeschichte und in dem Kommentar. Für die neue Thietmarausgabe ist
es wichtig zu merken, daß H. die ursprüngliche Einteilung in 8 Bücher wiederhergestellt hat, so
daß in den letzten beiden die Buchzahlen, in Buch 6 von c. 61 ab auch die Kapitelzahlen von der Zählung
Kurzes abweichen. Im Kommentar ist in beiden Ausgaben die Einarbeitung des neueren Schrifttums erstrebt und auch
S.217 nahezu lückenlos erreicht; dem neuen Widukind ist die achtjährige Dauer der Drucklegung hinderlich gewesen, so daß eine lange Nachtragsliste nötig wurde. An wichtigeren Lücken wüßte ich für beide Ausgaben nur die »Drei St. Wenzel-Studien« von W. Wostry (Jb. Ver. Gesch. Deutschen in Böhmen, 3, 1933) anzumerken. Als Hilfsmittel für die Forschung und als Magazin der seit Jahrzehnten zur Erklärung beider Schriftsteller geleisteten Arbeit sind die neuen Ausgaben unentbehrlich; leider ist der Thietmar so teuer (36.-- RM.), daß ihn wohl nur Bibliotheken werden anschaffen können.Von der dänischen Ausgabe des Saxo Grammaticus <vgl. 1931, 700 S. 173> ist das erste Faszikel des Wortindex von F. Blatt < 731> erschienen; der Index soll, wenn er vollendet ist, eine vollständige lexikographische Aufarbeitung des gesamten Wortschatzes bieten, ein für die mittellateinische Philologie wichtiges Unternehmen. An die Ausgabe selbst, die bei dem fast völligen Mangel einer hsl. Überlieferung der Textverbesserung bekanntlich breiten Raum läßt, hat sich eine Diskussion geknüpft, die teilweise auch grundsätzliche editorische Fragen berührt. Sehr scharfe Angriffe gegen den neuen Text hat L. Weibull gerichtet, auf die der eine der Herausgeber, H. Raeder < 732>, geantwortet hat. Die Kontroverse ist damit noch nicht abgeschlossen, zumal Weibull die Forderung nach einer neuen Ausgabe anstelle der nach seiner Meinung verfehlten durch kompetentere Bearbeiter erhoben hat. b) Urkunden.Was an Urkunden zur älteren Reichsgeschichte erschienen ist, verdankt man den Arbeiten von J. Ramackers in französischen, belgischen und niederländischen Archiven. Die Sammlung Hugo in Nancy < 192> ergab außer einigen älteren Papsturkunden je ein Stück Friedrichs I. und Heinrichs VI. für lothringische Stifter, andere Quellen ein rechtsgeschichtlich interessantes Diplom Friedrichs I. für St. Georg in Naumburg und einen Otto IV. vom 30. Januar 1200 < 733>. Niederrheinische Urkunden < 203> ergänzen die Kölner Erzbischofsregesten für das 12. Jh. in erwünschter Weise. <Vgl. auch 204.> -- Eine Urkunde des Mindener Bischofs Folkmar (1080--95) und eine Messe der hl. Fides haben M. Braubach und W. Levison < 726> aus einem von der Bonner Univ.-Bibl. erworbenen Bruchstück einer Werdener Hs. herausgegeben. -- Das Corpus der altdeutschen Originalurkunden von F. Wilhelm < 194> ist mit der 18. Lieferung bis ins Jahr 1291 gediehen, nähert sich also, da das Werk bis 1300 reichen soll, dem Abschluß. Nach Vollendung wird darauf zurückzukommen sein. c) Briefe.Unvermindert lebhaft ist
die Arbeit an den älteren Briefsammlungen. K. Pivec <
724> erklärt die beiden Hauptüberlieferungen der Gerbertbriefe
als künstlich und bewußt von Gerbert selbst geschaffene Auswahlsammlungen, von denen die eine für
französische, die andere für deutsche Leser bestimmt gewesen sei, beide, deutlicher die französische,
eine »Autobiographie in Dokumenten«, keine etwa ein Konzeptbuch. In der Frage der Datierung glaubt P.,
daß im allgemeinen die chronologische Folge gewahrt sei, und verhält sich älteren Versuchen
gegenüber, die mit den inneren Kriterien arbeiten, skeptisch. -- A. Duch <
729> macht darauf aufmerksam, daß den Magdeburger Centuriatoren eine
Hs. von Briefen des Abtes Berno von Reichenau vorgelegen habe, welche reichhaltiger war als die uns erhaltenen. Leider
teilten die Centuriatoren nur Fragmente mit, welche D. näher kommentiert. -- Eine ausführliche Behandlung hat
die in einem Palatinus der vatikanischen Bibliothek
S.218 erhaltene Wormser Briefsammlung aus den Anfängen der Salierzeit durch E. Häfner < 728> erfahren. Ihre Untersuchung erstreckt sich auf die schon länger bekannten Briefe, über welche die bisherigen Erklärungen erörtert und weitergeführt werden, wie auf die bisher noch unbekannten Stücke, die im Anhang -- 30 an der Zahl -- mitgeteilt werden, und schafft Klarheit über den Charakter der ganzen Sammlung. Sie ist ein typisches »Musterbriefbuch für den Schulgebrauch«, ihr historischer Wert ist geringer als ihr kultur- und literaturgeschichtlicher. Im einzelnen wird man in der Erklärung der teilweise recht schwülstigen Texte noch weiter kommen können; Brief 36 scheint mir z. B. aus zwei zu trennenden Briefen zu bestehen, und an anderen Stellen (z. B. in Nr. 21) ist der Übergang in Verse nicht erkannt. Doch verdient die von der Herausgeberin geleistete Arbeit volle Anerkennung. -- Zu den Quellen des Codex Udalrici macht C. Erdmann < 360> auf 6 Meinhardbriefe in der bekannten Pommersfelder Briefhs. aufmerksam und knüpft daran Bemerkungen über die Überlieferung der älteren Briefbücher, die übereinstimmend in die Domschulen, nicht in die Kanzleien weist, woraus sich für den Ursprung der Briefbücher ein literarisch-didaktisches Bedürfnis ergibt. -- Zu etwas anderer Auffassung kommt die seine früheren Studien fortsetzende und abschließende Untersuchung von K. Pivec < 361>; er möchte doch mehr Gewicht auf den »historisch-aktenmäßigen« Charakter der Vorlagen Udalrichs legen und bestreitet die Möglichkeit einer »Zurückführung des CU. auf einzelne Briefbücher oder auch nur auf Exzerpte, die doch immer mit einem bestimmten Personennamen verknüpft sein müßten«. Mit seiner Formulierung: »An ihre Stelle tritt die Annahme der Sammlung von Briefen und Akten in Bamberg, ohne Rücksicht auf Diktatgruppen, aus literarischem und historischem Interesse, das zugleich ein praktisches war«, ist er nicht allzu weit von Erdmanns Auffassung entfernt. In einem Anhang verteidigt P. seine Ansicht von der Verfasserschaft der vita Heinrici IV. durch Erlung von Würzburg gegenüber Hellmann. -- Einen Brief Urbans II. aus seiner Anfangszeit, vielleicht an die Söhne Ottos von Northeim gerichtet, und eine bisher unbekannte Fassung der epistula Leodicensium adversus Paschalem papam (Lib. de lite 2, 449 ff.) macht G. Frenken < 730> bekannt. |
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