I. 1648--1740.Für die Methoden der Politik
Frankreichs bei dem Vormarsch an und über den Rhein sind Entstehung und Auswertung der Artikel 82 und 83 des
Westfälischen Friedens, über die F. Textor berichtet, sehr lehrreich <
902>. Um die französischen Forderungen auf rechtsrheinische
Brückenköpfe abzuwehren, hatte der kaiserliche Bevollmächtigte Trauttmannsdorff in den Verhandlungen des
Jahres 1646 ein Befestigungsverbot für das rechte Rheinufer angeboten. Das hatten sich die Franzosen, die in der
Errichtung einer entmilitarisierten Zone jenseits der eigenen Grenzen ein treffliches Mittel zur Sicherung der
militärischen Vorherrschaft am Oberrhein sahen, zunutze gemacht und nicht nur außerdem noch das eigene
Besatzungsrecht in Breisach und Philippsburg, nicht nur die Schleifung der außerhalb ihrer Erwerbungen liegenden
elsässischen Befestigungen von Benfeld, Fort Rheinau, Zabern und Hohbarr sowie des rechtsrheinischen Neuenburg,
sondern auch das Verbot jeder festungsähnlichen Anlage zwischen Basel und Philippsburg durchgesetzt. Das sollte
freilich nach der Meinung Ludwigs XIV. nur für die Deutschen gelten, denn er selbst ließ nach Nymwegen
unbekümmert um die Proteste der deutschen Fürsten bei Fort Louis und Hüningen Werke aufführen. Nur
bis zum Frieden von Ryswijck, in dem sich der König zum Verzicht auf die rechtsrheinischen Vorposten gezwungen sah,
verfolgt Verfasser das Schicksal der Entmilitarisierungsbestimmungen, sie spielen indessen auch wieder in den
Friedensverhandlungen des Spanischen Erbfolgekrieges seit 1708 eine gewisse Rolle: jetzt wurde umgekehrt von deutscher
Seite die Beseitigung des gewaltigen französischen Festungssystems links des Rheins gefordert. -- Daß die von
Frankreich zunächst verwandten Argumente vielfach dann gegen Frankreich eingesetzt werden konnten, zeigt noch
deutlicher das Buch von P. Havelaar über den
S.239 Einfluß der Ideen des europäischen Gleichgewichts und der deutschen Libertät auf die Politik der Jahre 1648 bis 1688 < 901>. Die nur lose miteinander verbundenen Abschnitte, in die es zerfällt, enthalten eine Fülle wichtiger Feststellungen und wertvoller Anregungen. Aus der politischen Publizistik jener Zeit wird erwiesen, wie sich das Bild des uneigennützigen Frankreich in das des brutalen Störers des Gleichgewichts und Unterdrückers der Freiheit wandelte, wie damit zugleich in Deutschland eine Überbrückung der inneren Gegensätze, eine Erneuerung des Reichsbewußtseins stattfand. Die Verfasserin glaubt sogar einen »Geist leidenschaftlicher Abwehr gegen den Feind von außen, verbunden mit einem heißen Sehnen nach Erneuerung im Innern«, feststellen zu können. Liegt darin nicht doch eine Überschätzung einer, angesichts der alle bedrohenden Expansions- und Hegemoniepolitik Ludwigs, natürlichen Strömung, die keineswegs stark genug war, eine einheitliche Front gegen Westen zu erzwingen oder gar eine wirkliche Reichsreform zu erreichen? Schutz und Rettung erwartete man bezeichnenderweise nicht von der eigenen Kraft, sondern von Koalitionen, die den Fürsten zugleich die Möglichkeit boten, ihre Truppen gegen Subsidien zu vermieten. Gewiß war den Einigungsbestrebungen Wilhelms von Oranien und des unermüdlichen Fürsten Waldeck in den Jahren nach Nymwegen -- sie werden hauptsächlich auf Grund der Berichte der holländischen Vertreter im Reiche, Amerongens in Berlin, Hamel Bruynincx' in Wien und Valkeniers in Regensburg, beleuchtet -- die Stimmung günstig, sie führten indessen nur zu Teilerfolgen, da sich ihnen vor allem der Brandenburger versagte, der in Holland in dem oranienfeindlichen Amsterdam einen Gesinnungsgenossen fand. Und wenn dann seit 1684 in Berlin sowohl als auch in Amsterdam ein Umschwung eintrat, der nicht zum wenigsten Wilhelm III. die Expedition nach England und die Bildung der großen Koalition ermöglichte, so wurde damit zwar die Voraussetzung für das Scheitern der letzten Pläne Ludwigs XIV. geschaffen, das Reich aber hat mangels eigener Aktivität seine Lage und sein Ansehen nicht wesentlich zu bessern vermocht. -- Mehrfach findet sich in den von H. angeführten Flugschriften die Gegenüberstellung von französischem Absolutismus und deutscher Freiheit. Von der gemeinsamen Grundlage des fränkischen Staates, so meint die »Franco-Germania« Hornicks von 1682, seien die Franzosen »zu einer schändlichen, verächtlichen Knechtschafft und Sclaverey«, die Deutschen »zu einer mehrern Freyheit« gelangt. Während von deutscher Seite der Gedanke, durch Wiederherstellung der »germanischen« Freiheit in Frankreich die Dinge in Europa zum Bessern zu wenden, nicht vertreten wurde, findet er sich dagegen schon 1677 in der Schrift »L'Europe esclave« des geflüchteten Hugenotten Sardan. Daß dann während des Pfälzischen Krieges in zahlreichen französischen Flugschriften eine ständische Opposition gegen den ludovizianischen Absolutismus anläuft, zeigt F. Kleyser, ein Schüler von O. Becker, in einer Arbeit, deren Titel übrigens die Beschränkung auf die Auseinandersetzung um die Staatsform in Frankreich nicht vermuten läßt < 904>. Wenn diese Schriften, von denen die »Soupirs de la France esclave« des ehemaligen Oratorianers Michel Levassor die bedeutendste ist, die Berufung der Generalstände und die Wiederaufrichtung des Ständestaates verlangten, so bedeutete das für ihre Verfasser, die übrigens keineswegs nur im Kreise der Hugenotten zu suchen sind, nichts als die Wiederherstellung des alten Rechts und damit der auch für Frankreich als einem ursprünglich von einer germanischenS.240 Aristokratie geleiteten Lande angemessenen altgermanischen Freiheit, wie sie schon Hotman im 16. Jh. gepriesen hatte. Ob man freilich, wie Verfasser es tut, diese Opposition als eine Auflehnung des germanischen Geistes gegen Gewalten, hinter denen er etwas ihm Fremdes und Feindliches verspürte, bezeichnen kann, erscheint mir fraglich.Das Idealbild, das in jenen antiabsolutistischen Flugschriften vielfach von der
Verfassung und den staatlichen Zuständen Deutschlands entworfen wurde, entsprach kaum den Tatsachen. Den inneren
Zwist, der das Reich gerade während des Pfälzischen Krieges entzweite und die deutsche Aktionskraft
lähmte, beleuchtet die hauptsächlich auf den Akten des Staatsarchivs Hannover beruhende Schilderung der
Begründung der hannoverschen Kurwürde von F. Freiin von Esebeck <
905>. Der Hauptnachdruck wird dabei auf die Klarlegung der wechselvollen
Verhandlungen zwischen Hannover und Wien gelegt. Unter Ausnutzung der für Kaiser und Reich gefährlichen
politischen und militärischen Lage in den ersten Jahren des Pfälzischen Krieges erreichte der kluge Welfe
Ernst August in dem Kurtraktat vom 22. März 1692 die grundsätzliche Zustimmung des kaiserlichen Hofes zu der
seit längerer Zeit erstrebten Übertragung einer neunten Kur an sich und sein Haus. Aber damit war er noch
keineswegs am Ziel: gegen seine Introduktion in das Kurkolleg erhoben die katholischen Kurfürsten Einspruch, ein
eigener Fürstenverein unter der Führung des aus dem älteren Zweig des Welfenhauses stammenden
Wolfenbüttelers bildete sich zur Bekämpfung des Kurprojekts, und selbst in Wien, wo man die Erhöhung des
Hannoveraners mit der vollen Restitution der böhmischen Kur verkoppelte, kam es im Laufe der Zeit noch zu
mancherlei Schwankungen und Intrigen. Weder das Ende des Pfälzischen Krieges noch der Ausbruch des großen
Kampfes um die spanische Erbfolge gaben Anlaß zur Beilegung des Zwistes, und als dann endlich unter Kaiser Joseph
I. Ernst Augusts Sohn und Nachfolger Georg im September 1708 feierlich in das Kurkolleg aufgenommen wurde, hat die
Frage, welches Erzamt dem neuen Kurfürsten zufallen sollte, die Gemüter im Reich noch viele Jahre lang bewegt.
-- Nicht minder charakteristisch für die Zustände im Reich, wie dieser Streit um die neunte Kur, ist das
Gezänk, das sich mitten in den harten Zeiten des Spanischen Erbfolgekrieges aus Anlaß der feierlichen
Huldigung der Reichsstadt Köln für Kaiser Joseph I. im Jahre 1705 ergab. Gegen die Huldigung, die Rat und
Bürgerschaft dem zum kaiserlichen Kommissar ernannten Dompropst Herzog Christian August von Sachsen-Zeitz
leisteten, erhob das Domkapitel, das sich nach der Flucht des mit Frankreich verbündeten Kurfürsten Joseph
Clemens zur Wahrung der kurstaatlichen Ansprüche berufen glaubte, mit der Behauptung Einspruch, daß Köln
nicht reichsunmittelbar, sondern »des Erzstifts Köln angehörige Haupt- und Munizipalstadt« sei,
während andrerseits der Rat die in der Stadt ansässigen kurkölnischen Beamten, die auf Geheiß des
Kapitels die Teilnahme an der Huldigung verweigerten, mit Strafen belegte. Der Aufsatz von H. Gerig, der
diesen Zwist schildert, enthält übrigens wertvolles Material zur Erkenntnis der militärischen,
kulturellen und wirtschaftlichen Lage der Stadt Köln zu Beginn des 18. Jh.'s <
911>. -- Der politischen Zerklüftung des Reichs entsprach seine
militärische Aktionsunfähigkeit. Der Ruhm des Türkenlouis verblaßte, seitdem er die undankbare
Aufgabe der Führung der Reichsarmee am Oberrhein übernommen hatte: an dieser Aufgabe mußte ein minder
S.241 begabter und zäher Feldherr, als es der Markgraf von Baden war, vollends scheitern. Den politisch-militärischen Werdegang seines unglücklichen Nachfolgers, des Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth, vor allem seine Teilnahme an den Feldzügen des Pfälzischen Krieges und des Spanischen Erbfolgekrieges stellt H. Polster dar < 903>. Dem Ehrgeiz dieses reichstreuen Hohenzollern genügten die einflußreiche Stellung, die er im fränkischen Kreise einnahm, und die hohen Chargen, die ihm im kaiserlichen und im Reichsheer übertragen wurden, nicht. Mit Ludwig Wilhelm von Baden, dessen Unterführer und Stellvertreter er lange Zeit gewesen, überwarf er sich im Jahre 1704, seine Gleichberechtigung mit dem Badener als evangelischer Reichsfeldmarschall, ja die »Alternation im Kommando« forderte er dann, unterstützt von dem Corpus evangelicorum, das seine Ausschaltung als ein »gravamen religionis« im innerpolitischen Kampfe verwandte. Als er dann nach dem Tode Ludwig Wilhelms Anfang 1707 tatsächlich die Führung der Reichsarmee übernehmen konnte, trat rasch die Katastrophe ein: die Franzosen konnten im Sommer 1707 die Stellungen der Reichsarmee im Schwarzwald durchbrechen und weit in Süddeutschland vordringen. Es ist durchaus berechtigt, wenn der Verf. auf die Zurückhaltung des Wiener Hofes, auf das Ausbleiben der versprochenen preußischen Hilfe, auf die mangelnde Unterstützung der übrigen Reichsstände und auf die Eigenmächtigkeit unfähiger Unterführer als Ursachen des Mißerfolgs hinweist, für den dann der Markgraf allein verantwortlich gemacht wurde. Er scheint mir ihn indessen -- trotzdem er sein strategisches Unvermögen zugibt -- mehr als billig entlasten zu wollen. Ludwig Wilhelm hätte es soweit niemals kommen lassen, und die bittere Äußerung des Prinzen Eugen, »dass Es bey gott nicht zu verantworten, dass man dem Markgrafen v. Bareyth dass Commando im Reich gegeben«, wird man nicht als das Urteil »eines, mit den unglaublich schwierigen Verhältnissen im Reich wenig vertrauten Feldherrn« abtun dürfen.Welch ein Unterschied zwischen dem Bayreuther und dem
Prinzen von Savoyen! In erhöhtem Maße hat -- vor allem seit der Wiener Prinz-Eugen-Ausstellung des Jahres
1933 -- seine Persönlichkeit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, ohne daß uns doch eine wissenschaftlichen
Ansprüchen genügende neue Biographie geschenkt worden wäre. Hier sei zunächst berichtigend
festgestellt, daß es sich bei der im letzten Band der Jahresberichte <1933/34,
1253, S. 300> erwähnten Veröffentlichung H. Niedermeiers
über das Verhältnis des Prinzen zur Kultur seiner Zeit, wie ich inzwischen leider entdeckte, um das Plagiat
eines in der Österreichischen Rundschau 1923 erschienenen Aufsatzes von F. Engel-Jánosi handelt. Dem Buch
des Engländers Macmunn ist das zweibändige Werk des italienischen Generals I. Jori <
913> überlegen. Freilich tritt auch hier die politische Seite der
Wirksamkeit Eugens hinter der militärischen allzu sehr zurück. Der Darstellung, der übrigens eine Reihe
bisher in Deutschland kaum bekannter Bilder beigegeben ist, liegen hauptsächlich die Biographie Arneths und die
große Veröffentlichung des österreichischen Kriegsarchivs über die Feldzüge zugrunde. Voll
Stolz bringt Verf. zwei bisher unbekannte Schreiben der Grafen Nimptsch und Sinzendorf aus den Jahren 1723 und 1727 mit
ausführlichen Urteilen über den Savoyer auszugsweise zum Abdruck, deren Originale er »da archivi
polverosi« entnommen haben will. Wie O. Redlich indessen einwandfrei nachweist, sind die Briefe in
neuerer Zeit gefälscht und besitzen daher nicht den geringsten historischen Wert <
914>.
S.242 Von den mannigfachen Beziehungen, die sich zwischen der Schweiz und den
großen europäischen Parteien während der letzten großen Kriege der Zeit Ludwigs XIV. ergaben, ist
in einer Reihe von Veröffentlichungen des Berichtsjahres die Rede. M. Braubach berichtet unter
Benutzung holländischer Akten von der Tätigkeit, die der Heidelberger Theologe Fabricius im Auftrage der
Generalstaaten in den ersten Jahren des Pfälzischen Krieges in der Schweiz ausübte <
906>. Im Frühjahr 1689 und wiederum von März bis August 1690,
diesmal als beglaubigter holländischer Gesandter, hat Fabricius sich in der Eidgenossenschaft aufgehalten, eifrig
bestrebt, nicht nur einen Anschluß der Kantone an Frankreich zu vereiteln, sondern auch Unternehmungen der aus
Frankreich und Piemont vertriebenen Waldenser gegen Ludwig XIV. zu organisieren und den schwankenden Herzog von Savoyen
auf die Seite der Verbündeten zu ziehen. Durch Krankheit fand seine Mission ein vorzeitiges Ende. -- Den Anteil des
Schweizers Saint Saphorin an den politischen Ereignissen seiner Zeit in einer der Bedeutung dieses fähigen
Diplomaten entsprechenden großangelegten politischen Biographie darzustellen, hat S.
Stelling-Michaud sich als Aufgabe gestellt. Nachdem er schon 1933 die Abenteuer des jungen Edelmanns aus
der Waadt auf der Donau, die ihn in nahe Beziehungen zum Wiener Hofe brachten, geschildert hatte, läßt er
nunmehr einen umfangreichen Band folgen, in dem uns Saint Saphorin als kaiserlicher Agent und Bevollmächtigter in
seiner Heimat während des Spanischen Erbfolgekrieges entgegentritt <
909>. Ein in seiner Vollständigkeit wohl einzig dastehendes
Quellenmaterial aus zahlreichen privaten und staatlichen Archiven setzt den Verf. in den Stand, seinem Helden auf allen
diplomatischen Wegen zu folgen. Ein entschiedener Gegner Ludwigs XIV. suchte dieser Schweizer unter Ausnutzung der
Verbindungen, die er vor allem in Bern besaß, die Kantone in die Front gegen Frankreich einzuspannen, führte
er einen erbitterten Kleinkrieg gegen den klugen französischen Gesandten Puyzieulx, setzte er die Aufstellung von
Schweizer Regimentern für den Dienst des Kaisers durch, hatte er seine Hand bei dem Frontwechsel des Herzogs von
Savoyen im Jahre 1703 ebenso im Spiel wie bei dem Aufstand der Camisarden, den er aus einer religiösen Revolte in
eine politische Revolution zu verwandeln trachtete. Erstaunlich seine Erkenntnisse und Maßnahmen auf
wirtschaftlichem Gebiet, wo er nicht nur die wirtschaftliche Kriegführung der Verbündeten unterstützte,
sondern sich auch um eine Art Industrialisierung Österreichs durch Anwerbung von Meistern und Arbeitern aus der
Schweiz bemühte. Ein diplomatisches Meisterstück vollbrachte er bei dem Streit um Neuenburg: daß dies
Land dem Preußenkönig zufiel, war nicht zum wenigsten ihm zu verdanken, der in die Arbeit allzu zahlreicher
und vielfach einander entgegenarbeitender Agenten erst Einheitlichkeit und Methode brachte. In dem diese Vorgänge
behandelnden Abschnitt fällt auf die preußische Politik jener Jahre und auf die Persönlichkeit ihres
Vertreters in der Schweiz, des Reichstagsgesandten Grafen Metternich, helles Licht. -- Die Schweiz war schon damals ein
Mittelpunkt des Nachrichten- und Spionagedienstes aller Parteien: auch hierzu bringt das Werk Stelling-Michauds
interessante Mitteilungen. In ihm wird auch das unglaubliche Doppelspiel des Patriziers und späteren
allmächtigen Schultheiß von Bern, Hieronymus von Erlach, erwähnt, über das 1934 H.
Mercier eine eigene Publikation vorlegte <
908>. In jungen Jahren war Erlach in Roussillon eine Verbindung mit einer
Französin unter gleichzeitigem Übertritt zum
S.243 Katholizismus eingegangen, er hatte dann aber Weib und Kind bald im Stich gelassen und war in Bern der Schwiegersohn des einflußreichen Bannerherrn Willading, eines Führers der antifranzösischen Partei, geworden. Die Kenntnis jener früheren Ehe und zugleich das Geldbedürfnis des verschwenderischen und prachtliebenden Schweizers machte sich die französische Diplomatie zunutze: Erlach, der während des Spanischen Erbfolgekrieges als Führer eines der für den Kaiser aufgestellten Schweizer Regimenter, ja seit 1704 als kaiserlicher Generalmajor an den Feldzügen teilnahm und in vertraulichen Beziehungen zu einer Reihe von Führern der deutschen Armee am Oberrhein stand, war gleichzeitig der beste Agent des französischen Geheimdienstes, der entweder mündlich, in geheimen Zusammenkünften mit dem Straßburger Syndikus und Prätor Hatsel, oder schriftlich, unter dem Namen eines Baron d'Elcin, die französische Heeresleitung über Maßnahmen und Absichten ihrer Gegner unterrichtete. Daß Villars 1702 seine Truppen unter Entblößung Straßburgs bei Hüningen sammeln konnte, daß 1707 der französische Angriff auf die Stollhofener Linien überraschend gelang, 1709 der Vorstoß des kaiserlichen Generals Mercy gegen die Franche Comté völlig scheiterte, dazu trugen die genauen Informationen dieses Verräters in erheblichem Maße bei. Der Wert von Merciers Veröffentlichung liegt hauptsächlich in der meist wörtlichen Wiedergabe der in den Pariser Archiven befindlichen Geheimberichte Erlach-Elcins. Gegen seine Darstellung erhebt Stelling-Michaud den Vorwurf, daß der Verf. den Schweizer Patriotismus Erlachs, der wohl seine fremden Herrn, niemals aber sein Vaterland betrogen habe, und seine spätere großartige staatsmännische Wirksamkeit zu wenig gewürdigt habe. Der dunkle Fleck auf dem Wappenschild dieses Mannes läßt sich trotzdem nicht tilgen. Übrigens sei als Beitrag zur Stimmung im Elsaß zu Beginn des 18. Jh.'s angemerkt, daß Erlachs Berichte an die Franzosen auch der Aufdeckung von Anschlägen der »partisans alsaciens de l'empereur« dienten.Zur Geschichte der Westgrenze des Reichs im 18. Jh. gibt L. Just
wertvolle Aufschlüsse. Seine aus den Akten des Vatikanischen Archivs schöpfende Studie über den
kirchenrechtlichen Streit zwischen Papst Clemens XI. und Herzog Leopold von Lothringen um den 1701 erlassenen Code
Léopold, dessen staatskirchliche Tendenz durch den Bischof Bissy von Toul bei der Kurie angezeigt worden war,
beleuchtet nicht nur die kirchenpolitische Entwicklung der Zeit, sondern führt auch hinein in den Kampf um das
Grenzland Lothringen <
926>. Während das von dem Generalprokurator Bourcier vertretene
lothringische Staatskirchentum zugleich darauf abzielte, das lothringische Selbstbewußtsein zu stärken,
unterstützte die gallikanisch eingestellte Regierung Ludwigs XIV. aus politischen Gründen den Bischof von Toul
und die Kurie gegen den Herzog. Man hatte in Versailles kein Interesse daran, daß die Rechte des
französischen Bischofs in Lothringen eingeschränkt wurden und verleugnete so in diesem Falle das gallikanische
Prinzip. An anderer Stelle beschäftigt sich Just mit der Frage, wieweit Österreich vor allem nach dem
tatsächlichen Anfall Lothringens an Frankreich noch die traditionelle Aufgabe der Deckung des Reichswestens
erfüllt hat <
912>. »Lothringen hätte unter reichspolitischen Gesichtspunkten
niemals aufgegeben werden dürfen«, es zeigt sich indessen, daß diese Konzession an Frankreich für
Wien keineswegs den Verzicht auf die Grenzsicherung überhaupt bedeutete, daß vielmehr
S.244 gerade die Räumung des lothringischen Vorwerks den Anlaß zu einem festeren Ausbau des Kernwerks mit dem Schwerpunkt im Herzogtum Luxemburg -- wie ihn unmittelbar nach Abschluß des Polnischen Thronfolgekrieges der kaiserliche General Graf Seckendorff in einer von dem Verfasser als Beilage abgedruckten Denkschrift gefordert hatte -- gab. Der Sicherung der »Ruhe im Westen« diente auch das berühmte österreichisch-französische Bündnis von 1756. Die Möglichkeiten, die es der pénétration pacifique bot, darf man nicht überschätzen. Gefahrenpunkte bildeten nur die Grenzgebiete an Saar und Obermosel: hier hat Frankreich tatsächlich durch Grenz- und Handelsverträge mit Kurtrier und Zweibrücken -- für letztere enthält die Arbeit von H. Mittelberger über den zweibrückenschen Minister Hofenfels <1933/34, 1331> wichtiges Material -- gewisse Vorteile erreicht. -- Einfluß auf die westlichen Grenzgebiete des Reichs erstrebte übrigens nicht nur Frankreich, sondern, wie M. Braubach für die Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges erweist, auch Holland < 910>. Der Gedanke der eigenen Sicherung durch vorgeschobene Barrieren erstreckte sich ursprünglich nicht allein auf Belgien, wo er ja tatsächlich verwirklicht wurde, sondern auch auf die deutschen Lande rings um Holland, die es diplomatisch oder militärisch zu beherrschen galt. Die Generalstaaten haben daher im Fürstbistum Münster 1706 die Erhebung eines ihnen ergebenen Kandidaten auf den Bischofsstuhl mit allen Mitteln durchgesetzt und ihn dann durch Bündnisverträge an sich gekettet, sie haben nach Bonn, Lüttich und Huy Garnisonen gelegt, die auch nach Wiederherstellung des Friedens dort bleiben sollten, ja sie vereinbarten sogar mit dem Kurfürsten von Trier 1709 einen Vertrag, der ihnen bei künftigen Kriegen das Verfügungsrecht über die Festungen an der Mosel einräumte. Der Abschluß des Krieges brachte ihnen indessen eine schwere Enttäuschung. Das Reich erhob gegen die fremden Garnisonen so nachhaltig Einspruch, daß die Holländer sich mit der Entfestigung von Bonn, Lüttich und Huy begnügen mußten, die Verbindung mit Trier riß ab, und auch Münster lockerte die Beziehungen, die es an den Nachbarn knüpften. |
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