V. Ahnentafeln.Die als Beilage zum »Archiv
für Sippenforschung« in Lieferungen erscheinenden »Ahnenreihen aus allen deutschen
Gauen«, eine unerschöpfliche Fundgrube für den Sippenforscher, haben den zweiten umfangreichen Band
ihrer neuen Folge zum Abschluß gebracht. Von den »Ahnentafeln der Edda« <
1611>, aus denen die Blutszusammensetzung des heutigen deutschen Adels
unter Ausschluß nichtarischen Blutes zu ersehen ist, liegen jetzt drei umfangreiche Bände vor. Auch die vom
Reichsnährstand herausgegebene Reihe »Die Ahnen deutscher Bauernführer« <
1615> entwickelt sich zu einem umfassenden Sammelwerk, dessen zuletzt
erschienener Band bereits die Nummer 36 trägt. Die gleichmäßige Anlage der Listen, worin die Anordnung
nach Ahnenziffern und Ahnenstämmen in neuartiger Weise verbunden ist, sowie die Beifügung von geographischen
Karten, statistischen Tabellen, Bilderahnentafeln und Sippschaftslisten lassen erkennen, daß der Bearbeitung ein
einheitlicher Plan zugrunde liegt, der dem Ganzen zweifellos große wissenschaftliche Bedeutung geben wird. Es ist
überaus reizvoll und aufschlußreich, an Hand dieser Ahnentafeln die Beziehungen zwischen Blut und Boden
prüfen zu können und ihre enge Verbundenheit belegt zu sehen. Selten sind bisher Ahnentafeln bekanntgeworden,
die eine so starke landschaftliche und ständische Geschlossenheit, aber auch Ahnenerbe und amtliche Tätigkeit
des Probanten in solcher Übereinstimmung zeigen, wie dies der Fall ist in den Ahnentafeln der engeren Mitarbeiter
des Reichsbauernführers (Reischle, Rechenbach) oder der Landesbauernführer von Sachsen (Körner),
Thüringen (Peuckert), Württemberg (Arnold) und Baden (Engler-Füßlin). Wenn man von der Tafel
Metzner absieht, in der eine schwäbische neben eine sächsisch-thüringische Hälfte tritt, so geben
alle diese Ahnentafeln in ihrer Aufgliederung in zahllose Stammreihen gleichsam Ausschnitte aus der genealogischen
Struktur bestimmter Bevölkerungsgruppen, d. h. hier der ländlich-bäuerlichen, teilweise
kleinstädtisch-handwerklich durchsetzten Einwohnerschaft eng umgrenzter Bezirke (Württemberg bei Reischle und
Arnold, Baden bei Engler-Füßlin, Thüringen bei Peuckert, Thüringen-Sachsen bei Rechenbach und
Sachsen bei Körner). Aufbau und Wesen dieser Ahnenlisten sind somit vielleicht weniger von ihrer individuellen
Zuspitzung auf den Ahnenträger zu betrachten, denn sie bieten volksgenealogische Erkenntnisse von typischer
Bedeutung. So dürfte der bei Reischle festgestellte Ahnenverlust von 45 v. H. den Durchschnittsverhältnissen
in der Weingärtnerbevölkerung der Heilbronner Gegend überhaupt entsprechen. Auch in dem Buch von E.
Strutz <
1641> über die Elberfelder Bürgermeister des 18. Jh.'s stellen
die Ahnentafeln, und zwar in bewußter Zielsetzung, lediglich die Form dar, in der das genealogische Gefüge
einer Klasse, hier des Beamten- und Honoratiorentums einer einzelnen Stadt, zur Darstellung gebracht wird. Aus den 101,
möglichst bis zur Achterreihe zurückgeführten Ahnentafeln, die mit reichlichen
S.350 Erläuterungen über weitere Familienzusammenhänge versehen sind, ergibt sich ein völlig klares Bild von der herkunftmäßigen Zusammensetzung dieser Bürgermeisterreihe: zunächst Überwiegen von Abkömmlingen der »Meistbeerbten«, d. h. der mit Haus und Hof angesessenen Zunftmitglieder der Garnnahrung, dann aber, je weiter man sich dem 18. Jh. nähert, zunehmendes Auftreten neu zugezogener Bürger. Den Grad der verwandtschaftlichen Verbundenheit innerhalb von Ort und Klasse läßt auch die Deszendenztafel eines im 17. Jh. lebenden Ehepaares ermessen, in der fast die Hälfte aller Bürgermeister des 18. Jh.'s vorkommen. Solche gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnisziele liegen den »Ahnentafeln berühmter Deutscher« ferner, denn sie gehen von der Frage nach der genealogischen Bedingtheit der Persönlichkeit aus. Die von B. Lautenschläger < 1666> bearbeitete Ahnentafel von Rudolf Heß mit 1091 nachgewiesenen Ahnen wird geographisch bereits in den unteren Geschlechterfolgen entscheidend gruppiert, indem hier bei den Großeltern zu je einem Viertel fränkisches und schweizerisches sowie zu zwei Vierteln thüringisches Blut zusammenfließt. Den sozialen Aufbau beherrschen die verschiedenen Schichten des städtischen Bürgertums mit Überwiegen von Handwerkern, zu denen Bauern, Kaufleute und Akademiker treten. In Hermann Görings Ahnentafel, die von O. Frhr. v. Dungern < 1664> zunächst nur bis zur Vierundzwanzigerreihe gegeben wird, ist die väterliche Seite rheinisch und hält sich in den Kreisen von höheren Beamten, Offizieren und Kaufleuten. Der durch den Mannesstamm vermittelte pommersche Blutseinschlag beginnt erst in der sechsten Generation. Auf der mütterlichen Seite finden sich ausschließlich Bauern und Handwerker aus Tirol und Oberbayern. Ohne ersichtlichen Grund beschränkt der Bearbeiter die Tafel auf sechs Generationen, er hängt ihr dann aber, auf 26 von 27 Seiten des ganzen Werkes, über das schmale Verbindungsglied einer einzigen Urgroßmutter väterlicherseits eine Ahnengruppe an, die zuletzt -- man kann wohl sagen -- die ganze ma.'liche Oberschicht des Rheinlandes und Westfalens umfaßt und über Patrizier und niederen Adel in bekannter Weise mehrfach im Hochadel und in europäischen Herrscherhäusern ausläuft. Der Titel dieses Ahnentafelwerkes entspricht also nur bedingt dem Inhalt. |
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